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AutorenbildMichele Neuland

Haben Sie eine passende Lernkultur? - Lernkulturen für die Arbeitswelt 4.0

Im Kontext der digitalen Transformation und den heutigen Marktentwicklungen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Organisationen den Wandel als ständigen Begleiter vor Augen haben. Die Vision der agilen Organisation, die flexibel und proaktiv mit dieser permanenten Dynamik umgeht, hat sich als eine Antwort darauf herausgebildet. Wandel bedeutet erfolgreiche Transformationen auf verschiedensten Ebenen zu gestalten. Um diese Transformationen in hoher Dynamik gut bewältigen zu können, kommt es auf eine passende Lernkultur an. Denn Lernen wird in dieser Situation zur allesbestimmenden Metakompetenz.



Was ist eine Lernkultur?


Diskussionen um eine Arbeitswelt 4.0 führen häufig zu Fragen von Innovation, Digitalisierung oder New Work. Doch wie sähe eine dazu passende Lernkultur aus? Begriffe wie Eigenverantwortung und Selbststeuerung, informelles, kollaboratives und soziales Lernen, Sinngestaltung oder die stärkere Verknüpfung von Arbeiten und Lernen werden häufig diskutiert. Bevor wir auf solche Einzelfragen schauen, macht es Sinn, das Konzept „Lernkultur“ genauer zu beleuchten.


Lernkultur setzt sich aus zwei unterschiedlichen Konzepten zusammen.Dem Kulturbegriff kann man sich über das Ebenen-Modell von Edgar Schein nähern. Dieser hat 1985 im Kontext der Untersuchung von Unternehmenskultur folgendes Modell entwickelt:










Schein betont, dass die Beobachtbarkeit und damit auch Gestaltbarkeit abnehmen, je tiefer in die Kultur und dessen Kern eingetaucht wird.


Schmidt (1994) und Erpenbeck (2003) bezeichnen Kultur als Ausführungsprogramme für Sozialität auf der kognitiven, kommunikativen und sozialstrukturellen Ebene, die durch ein System von wert- und normhaltigen Ordnern sozialer Selbstorganisation gebildet werden.

Kern jeder Kultur sind Werte, Normen, Glaubenssätze und Bilder, die selbst organisiertes soziales Handeln bündeln, ordnen und konsensualisieren. Abgeleitet von dieser Definition von Schmidt und Erpenbeck ergeben sich folgende wesentliche Merkmale:

  • Kultur bezieht sich auf wertgeleitete geistige oder materielle Ordnungssysteme,

  • diese Ordner strukturieren Ausführungsprogramme sozialen Handelns (Normen, Gewohnheiten, Traditionen),

  • dieses zu ordnende Handeln ist weitgehend selbstorganisatorisch.


Was ist Lernen?

Lernen kann als Fähigkeit verstanden werden, die bisherigen Handlungsmuster zu korrigieren, neue Muster aufzugreifen und eine Adaption an sich verändernde Bedingungen durchzuführen.


Bower und Hilgard haben Lernen 1983 wie folgt definiert: "Die Veränderung im Verhalten oder im Verhaltenspotential eines Organismus in einer bestimmten Situation.“


Führen wir beide Konzepte zusammen und betrachten nun Lernkultur.

Lernkultur bezeichnet kognitive, kommunikative und sozialstrukturelle Aktivitäten für alle mit Lernprozessen befasste Personen oder Gruppen. Im Zentrum stehen die dafür notwendigen fachlich-methodischen, sozial-kommunikativen, personalen und aktivitätsorientierten Kompetenzen, die sich in einem Lernhandeln unter institutionellen und nichtinstitutionellen Bedingungen herausbilden. (Erpenbeck 2003, S. 8 ff.)


Die Funktion der Lernkultur ist folgende: Zum einen beschreibt sie passende Rahmenbedingungen, damit die einzelnen Mitglieder die notwendigen Lernkompetenzen entwickeln können (Fromme-Ruthmann 2013, S. 38). Zum anderen ist Lernkultur auch ein Indiz dafür, welche unhinterfragten Selbstverständlichkeiten und vorherrschenden Wertgrundsätze „gegenüber Lernen in einer Organisation“ bestehen (Fandel-Meyer/Seufert 2010, S. 15).


Im Kontext der Lernkultur wird häufig die Frage aufgeworfen, ob es ausreicht, einzelne Mitglieder einer Organisation zu befähigen lernfähiger zu sein. Die gesellschaftliche Tendenz der Individualisierung aufzugreifen und davon auszugehen, alle Mitarbeiter einer Organisation zu agilen Lernern zu machen, reiche aus, um die Organisation als Ganzes lernfähig zu machen, ist hier eher irreführend. Denn erst wenn ein gemeinsames Ausrichten und voneinander lernen stattfindet, lernen soziale Systeme. Ähnlich der Idee des „shared mindset“ braucht es eine soziale Verknüpfung von Lernenden, um ein System bzw. eine ganze Organisation lernfähig zu machen. In anderen Worten ist Lernkultur ein Ausdruck einer organisationalen Lernkompetenz, die nicht nur die individuelle Lernkompetenz beeinflusst, sondern vor allem aus deren sozialen Verknüpfung entsteht.


Wie sieht eine Lernkultur für die Arbeitswelt 4.0 aus?


Die Veränderungen, die mit den Herausforderungen der Digitalisierung, Agilisierung und der VUCA-Welt einhergehen, führen zu einer Entgrenzung der Arbeit. Diskussionen über New Work und digitalisierte Arbeitsprozesse sind ein erstes Indiz in diese Richtung. Der Arbeitende von morgen wird über veränderte Kompetenzen verfügen, um die Herausforderungen der Wirtschaft und Gesellschaft besser bewältigen zu können. Gefragt sind Kompetenzen, die sich schnell verändernden Bedingungen und wechselnden Anforderungen anpassen, die Übertragungen zwischen den einzelnen Tätigkeitsbereichen ermöglichen, innovative Anwendungen auf neue Problemsituationen gestatten und auf die ständige Neuorganisation der eigenen Persönlichkeitsdispositionen orientieren (Kirchhöfer, D. (2004)).


Ein neuer Typus des Lernens bildet sich heraus, der neue Aneignungsformen, Strukturen und neue Lerninhalte hervorbringt. Das Lernen unter den Bedingungen von Komplexität, Unberechenbarkeit und sogar Chaos fordert eine Kultur des selbst organisierten sozialen Lernens eingebettet in ein dynamisches Lernumfeld.

Die radikale Unterwerfung aller Elemente (Inhalte, Formen, Methoden, Zeiten, Orte) des Lernens unter den Zwang zur sozialen Selbstorganisation ist die Folge. Allerdings enthält diese Entwicklung gleichzeitig auch die ihr eigenen Ambivalenzen. Das heißt, dass es parallele Lernkulturen geben wird, die die Ambivalenz des Marktes und der Gesellschaft spiegeln werden. Agiles Lernen neben klassischem Lernen oder einer Hybridvariante innerhalb einer Organisation. Diese „neuen“ Lernkulturen werden sich im Wesentlichen dadurch auszeichnen, dass sie sich ständig selbst verändern und deren Erfolg darin liegt, diese Selbstveränderbarkeit zu ermöglichen.


So sehr die Eigenverantwortung des Einzelnen betont werden soll, so muss und soll eine lernförderliche Strukturierung der jeweiligen Umwelten die individuelle Gestaltungsleistung unterstützen. Indem Arbeitende sich auf den Kompetenzerwerb orientieren, beeinflussen sie auch ihr Umfeld: Sie identifizieren lernfördernde bzw. -hemmende Bedingungen, suchen unterstützende soziale Beziehungen und organisieren individuelle und soziale Lern-Zeiten und -Räume.


Zusammenfassend ist die neue Lernkultur ermöglichungsorientiert, kompetenzzentriert und basiert auf sozialer Selbstorganisation. Umgangssprachlich stehen die Begriffe des lebenslangen Lernens und der lernenden Organisation für diese neue Lernkultur.


Organisationales Lernen, Lernende Organisation und Lernkultur


Ist eine Organisation als soziales System in der Lage, die „organisationalen Verhaltensweisen“ den Anforderungen des Marktes und der Gesellschaft gemäß zu verändern bzw. zu verbessern, dann kann man von einer „lernenden Organisation“ sprechen. Um dies zu erreichen, brauchen wir Menschen mit agiler Lernfähigkeit. Da die Interaktion einzelner Organisationsmitglieder komplex ist, reicht eine Summierung lernagiler Menschen nicht aus. Die Gestaltung sozialer Lernprozesse ist von höchster Wichtigkeit. Erst wenn Wissen und Erkenntnis geteilt und Kompetenzen gebündelt und ausgerichtet werden, entstehen lernende soziale Systeme. Die notwendige Schnelligkeit und Flexibilität machen dies zu einer Königsdisziplin.


Die „Lernende Organisation“ ist somit die Zielvorstellung und sagt uns wie die Lernkultur auszusehen hat, um dieses Ziel zu erreichen. Man könnte fast die lernende Organisation mit der agilen Organisation austauschen.


Bleibt die Frage wie denn ein System zum Lernen befähigt werden kann.

Erste Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass organisationales Lernen durch eine bewusste Gestaltung der Lernkultur und Förderung (individueller) Selbstorganisation entwickelt werden kann.


Die Zielvorstellung einer „neuen“ Lernkultur könnte in Anlehnung an D. Kirchhöfer (2004) wie folgt aussehen (wohlwissend, dass es sich hierbei um eine normative Vorstellung handelt):


Inhalt des Lernens:

  • kompetenzorientiert,

  • allgemeine Handlungs- und Problemlösefähigkeit fördernd

Stellung des Individuums zum Lernen:

  • selbstorganisiert und selbstverantwortet

  • im sozialen Austausch und sozialer Verknüpfung

Bereich des Lernens:

  • bereichsübergreifend (lebensweit-soziales Umfeld),

  • integrierend

Aneignungsform:

  • informell und formell,

  • erfahrungsbasiert,

  • konstruktivistisch- selbstreflexiv,

  • sozial

Einordnung des Lernens in den Lebenslauf:

  • lebenslang

Lernkanon:

  • individuelle und soziale Lernarrangements

Kooperationsorganisation:

  • fluide Netzwerke

Zertifizierungsform:

  • permanent und offen

Lehrkultur:

  • selbständig aneignend,

  • Lernberater, Lernbegleiter,

  • partnerschaftlich,

  • sozialer Austausch und Vernetzung

Ort:

  • am Arbeitsplatz,

  • digital,

  • Lern- und Lebensräume


Welche Instrumente zur Bestimmung von Lernkultur gibt es?


Um eine Lernkultur für die Arbeitswelt 4.0 zu entwickeln ist es förderlich den Status Quo der bestehenden Lernkultur zu erheben. Es gibt mehrere Instrumente, die wissenschaftlich abgesichert, Lernkultur operationalisieren und beobachtbar machen. Bekannt sind vor allem drei Instrumente:

  • das Inventar „Dimensions of the learning organisation“ von Marsick und Watkins (2003);

  • das „Lernkulturinventar“ von Schaper et al. (2006);

  • die „scil Lernkulturanalyse“ (Hasanbegovic et al. 2007; Fandel 2010);

Diese Instrumente analysieren unterschiedliche Aspekte der „Lernkultur“:

  • Bei Marsick und Watkins werden Dimensionen wie ‚Strategic leadership‘, ‚Team learning‘‚ ‚Empowerment‘, ‚Continuous learning‘, ‚Dialog and inquiry‘, ‚Knowledge performance‘ oder ‚Embedded system‘ aufgeführt.

  • Bei Schaper et al. werden Dimensionen wie ‚Lernen als Teil der Unternehmensphilosophie‘, ‚Rahmenbedingungen für Lernen‘, ‚Aspekte der Personalentwickung‘, ‚Lernatmospähre und Unterstützung durch Kollegen‘, ‚Lernorientierte Führungsaufgaben‘, ‚Information und Partizipation‘, ‚Lernkontakte mit der Umwelt‘ oder ‚Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten‘ aufgezeigt.

  • Bei der scil Lernkulturanalyse werden Dimensionen wie ‚Mitarbeitende befähigen‘, ‚Führungskräfte einbinden‘, ‚Lernen ermöglichen‘, ‚Ausrichtung von Bildungsarbeit auf Wertbeitrag‘ oder ‚Lernen informell und formell vielfältig gestalten‘ unterschieden.

 Je nachdem in welche Richtung Sie Ihre Lernkultur entwickeln wollen und worauf Sie besonderen Wert legen, empfiehlt es sich, einen auf Ihre Organisation zugeschnittenen Fragebogen zu entwickeln.


Transformationsarbeit auf Grundlage einer Lernkultur-Analyse


Ausgehend von den Ergebnissen einer Lernkultur-Analyse beginnt die Tranformationsarbeit. Vorausgesetzt die angestrebte Lernkultur ist eingebettet in eine Gesamtstrategie und unterstützt und begleitet diese, können Ideen für zielgenauere Impulse zur Veränderung der Lernkultur entwickelt werden. Die Einbindung verschiedenster Beteiligter aus allen Ebenen ist dabei unerlässlich, da sowohl die Rückendeckung der obersten Führungsebene gebraucht wird, als auch die Beteiligung von Mitarbeitern aus allen Ebenen.


Sollte die Förderung von Selbstorganisation und Übernahme von Eigenverantwortung ein Entwicklungsfeld für agiles organisationales Lernen sein, so versteht sich dies fast von selbst.


Kulturentwicklung ist seit jeher eine „Königsdisziplin“. Ein langer Atem, verschiedenste Interventionen, angepasste organisationale Rahmenbedingungen, ein passendes Mindset und Fast Prototyping sind bei dieser Arbeit Programm. Nur so entsteht nachhaltige und tiefgreifende Veränderungsarbeit.


Literatur und Quellen


Argyris, C. (2009): On organizational learning. Malden, Mass: Blackwell.

Bower, Gordon H; Hilgard, Ernest R (1983). Theorien des Lernens, Klett-Cotta

Erpenbeck, J. (1996). Kompetenz und kein Ende? In: QUEM-Bulletin 1, 9-13

Erpenbeck, J. (1997). Selbstgesteuertes, selbstorganisiertes Lernen. In: Arbeitsge- meinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management (Hrsg.). Kompetenzentwick- lung ‘97. Berufliche Weiterbildung in der Transformation – Fakten und Visionen. Münster, New York, München, Berlin, 310-316

Erpenbeck, J. (2003). Der Programmbereich „Grundlagenforschung”. In: Zwei Jahre „Lernkultur Kompetenzentwicklung”. Inhalte – Ergebnisse – Perspektiven. In: QUEM-report, Heft 79, Berlin, 7-90

Erpenbeck, J. & Heyse, V. (Hrsg.) (1999). Die Kompetenzbiographie. Strategien der Kompetenzentwicklung durch selbstorganisiertes Lernen und multimediale Kom- munikation. edition QUEM, Band 10, Münster, New York, München, Berlin

Erpenbeck, J. & Rosenstiel, L. v. (2003). Handbuch Kompetenzmessung – Handbuch. Stuttgart

Erpenbeck, J. & Sauer, J. (2000). Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Lernkultur Kompetenzentwicklung”. In: Arbeitsgemeinschaft Qualifikations- Entwicklungs-Management (Hrsg.). Kompetenzentwicklung 2000. Lernen im Wandel – Wandel durch Lernen. Münster, New York, München, Berlin, 289- 335

Fandel-Meyer, T./Seufert, S. (2010): Change Management: Vorgehensmethodik, Grundannahmen und Anwendungsfelder für Bildungsverantwortliche. In: Fandel-Meyer, T./Seufert, S.(Hrsg.): Veränderungsprozesse im Bildungsmanagement gestalten. Vorgehensmethodik und Praxisbeispiele. St. Gallen: SCIL, S. 3–20.

Fromme-Ruthmann, M. (12013): Einfluss organisationaler Lernkultur und personaler Aspekte auf die Motivation sowie Art und Ausmaß formeller und informeller Lernaktivitäten in Unternehmen. s.l.: Rainer Hampp Verlag.

Hasanbegovic, Jasmina; Seufert, Sabine; Euler, Dieter (2007): Lernkultur als Ausgangspunkt für die Implementierung von Bildungsinnovationen. In: OrganisationsEntwicklung 26 (2), S. 22–30.

Kirchhöfer, D (2004). Lernkultur Kompetenzentwicklung

Marsick, V. J., & Watkins, K. E. (2003). Demonstrating the value of an organization’s learning culture: The Dimensions of Learning Organizations Questionnaire. Advances in Developing Human Resources, 5, 132–151.

Schein, E. H. (1997): Organizational culture and leadership. San Francisco: Jossey-Bass.

Schmidt, S.J. (1994). Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Frankfurt/M.

Sonntag, Karlheinz; Stegmaier, Ralf; Schaper, Niclas; Friebe, Judith: Dem Lernen im Unternehmen auf der Spur: Operationalisierung von Lernkultur, Unterrichtswissenschaft 32 (2004) 2, S. 104-127

http://groups.uni-paderborn.de/psychologie/scha-Einfuehrung_AO_30-05-06.pdf

Lernkultur als Befähigungsvehikel zur Agilität – JK – Growing Together, 18.November 2017

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